Im Advent wieder mehr staunen lernen

Manchmal stelle ich mir gerne vor, wie wohl unsere Vorfahren das Jahr so erlebt haben. Gerade auch Weihnachten lädt dabei wunderbar zum ‚Historisieren‘ ein.  Wenn ich mir da eine Familie auf dem Land vor der flächendeckenden Verbreitung der Elektrizität und all ihrer Annehmlichkeiten vorstelle, sah bei ihr Weihnachten und v.a. die Adventszeit wohl ganz anders aus: Da war Weihnachten ein Highlight in einer sonst eigentlich ganz und gar nicht so gemütlichen Jahreszeit, wie wir sie heute vielleicht in Zeiten von Zentralheizung und anderen modernen Annehmlichkeiten erleben. Nicht umsonst setzte man im Kirchenjahr die Geburt Jesu an einen Termin um die Wintersonnenwende: Christus ward geboren und die Sonne begann wieder aufzugehen. 

In der Weihnachtszeit saß also die Familie viel beisammen im häufig einzig geheizten Raum während draußen im Schneegestöber die Schneeflocken tanzten. Die Kinder spielten, die Erwachsenen fanden endlich wieder einmal für das Zeit, für das während der Erntezeit vorher keine Gelegenheit war. Da wurde geschnitzt, genäht, gebastelt,  gestrickt und gestickt. Früher bspw. schnitzten viele Familien ihre Weihnachtskrippe und den Weihnachtsschmuck noch selbst. Und während sie so vor sich hinwerkelten, genossen sie ihr Beisammensein, sangen Lieder, machten Hausmusik und erzählten sich allerlei Geschichten, die sie bereits den ganzen Advent hindurch schon einmal auf das eigentliche Fest der Jahreszeit, Weihnachten, vorbereitete. 

Der Advent hatte damals noch eine ganz andere Bedeutung. Viel weniger war der Advent eine Verlängerung des Weihnachtsfestes, wie es heute so manchmal scheint, sondern eigentlich eine Zeit der Vorbereitung auf das was schließlich an Weihnachten erinnert wurde: Die Geburt Christi, die Menschwerdung Gottes. Die orthodoxe Kirche bspw. kennt noch heute einen ganz anderen Advent als wir ihn feiern: Dort ist bis heute die Adventszeit eine Zeit des Fastens. Aber auch in katholischen Familien galt die Adventszeit noch lange als Zeit der persönlichen Vorbereitung auf das Wunder, das schließlich am Ende der Adventszeit gemeinsam gefeiert wurde. Man betete gerade auch in dieser Zeit viele Rosenkränze gemeinsam und übte sich mehr in Frömmigkeit als zu sonst einer Zeit. Und das nicht unbedingt, weil man es musste, sondern ganz häufig aus einer Stimmung der Vorfreude heraus.

Gerade in ärmeren Gegenden auf dem Land wurde Weihnachten häufig auch ganz ohne Geschenke und dem die heutige Adventszeit prägenden Konsum gefeiert und trotzdem nahm man, wenn man Zeitzeugenberichten Glauben schenkt, die Weihnachtszeit immer als etwas ganz besonderes wahr. 

Vielleicht war das damals so, weil die Familien zu dieser Zeit noch staunen konnten. Staunen über das, was sich ihnen an Weihnachten da eigentlich bot: Gott selbst wurde an Weihnachten Mensch. Sicherlich hatte das zu früheren Zeiten noch einen viel höheren Stellenwert als für unsere Zeit heute, in der wir doch eigentlich meist alles haben, was wir uns nur wünschen können und in der wir häufig der Überzeugung sind, dass wir doch sowieso alles selbst beeinflussen können oder müssen, wie die Dinge so ihren Lauf nehmen. Das erlebten noch die Menschen zwei / drei Generationen vor uns ganz anders. Für sie bedeutete Weihnachten große Hoffnung. Und wenn im Protestantismus zwar vielleicht eher Ostern als Fest der Hoffnung gilt, so ist auch Ostern erst möglich geworden durch das Geschehen der Christnacht.

Staunen, das soll meinen, das, was sich uns da offenbart erst einmal ‚nur‘ wahrzunehmen. Weniger darüber nachzudenken, sondern mehr sich von ihm berühren zu lassen. Staunen meint dabei eben auch, dass wir nicht nur rational wissen, was wir an Weihnachten feiern, sondern dass wir versuchen uns einmal wirklich einzufühlen, was Weihnachten für uns bedeuten kann. Und dazu lädt doch eigentlich Weihnachten mit seiner so wunderbaren und irgendwie auch wundersamen Botschaft ganz besonders ein. Denn wenn wir ganz ehrlich sind: Verstehen können wir doch eigentlich sowieso nur kaum das Wunder, das da in Judäa, wie wir glauben, geschehen ist. 

Zwar mag so etwas vielleicht für eine evangelisch-theologische Fakultät nicht ganz so passend erscheinen, ist es doch unsere Aufgabe, Religion, Glauben und Spiritualität in erster Linie wissenschaftlich zu durchdringen. Aber trotzdem kann es ja auch uns nicht schaden, mal wieder etwas mehr ins Staunen zu kommen und das Denken zumindest mal für eine kurze Zeit ruhen zu lassen. Sogar der große vorreformatorische Theologe des Hochmittelalters, Thomas von Aquin, kam eines Tages nach dem Verfassen seiner summae theologiae ins Staunen: Ihn traf es sogar so stark, dass er gänzlich aufhörte theologische Schriften zu verfassen. (Das muss und sollte bei uns nun vielleicht nicht so der Fall sein 😉 .) Als er aber von einem Mitbruder gefragt wurde, was mit ihm los sei, meinte er schließlich:

„Ich kann nicht mehr, denn alles, was ich geschrieben habe, scheint mir wie Stroh zu sein im Vergleich mit dem, was ich gesehen habe und was mir offenbart worden ist.“

Thomas von Aquin

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